Rückblick auf „Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Westen-was steht uns noch bevor?“ Musiksalon der Diplomatischen Akademie, Mittwoch,  16. November 2022

 Von Wolfgang Geißler

Frühmorgens um 7 Uhr fiel mein Blick auf die Inbox meines Smartphones und was lese ich? „99 Luftballons“.  Ein gewisser Klaus Herrmann im „Krone-Guten Morgen“ schreibt freundlicherweise an mich: „99 Luftballons. Eine Nacht lang sah es fast so aus, als könnte der russisch-ukrainische Krieg wirklich zu einem Weltkrieg explodieren. Russische Raketen, die im NATO-Land Polen einschlagen, dort zwei Todesopfer fordern. Ein wenig dachte da man an Nenas „99 Luftballons“….In diesem (meiner persönlichen Meinung nach grauenhaften) Song von 1983 heißt es unter anderem ,Neunundneunzig Kriegsminister/Streichholz und Benzinkanister/Hielten sich für schlaue Leute/Witterten schon fette Beute/Riefen  „Krieg!“ und wollten Macht/Mann, wer hätte das gedacht/Dass es einmal soweit kommt/Wegen neunundneunzig Luftballons’…Aber tatsächlich werden Katastrophen durch-im übertragenen Sinn-auch durch etwas wie 99 Luftballons ausgelöst….Die Raketen waren tatsächlich russischer Herkunft, wie sich herausstellte. Aber nicht abgefeuert von russischen Truppen, sondern es waren Luftabwehrraketen der Ukraine aus alten russisch-sowjetischen Beständen…Und aus den richtigen Erkenntnissen zogen besonnene Köpfe die richtigen Schlüsse.“ Somit können wir, wohl besorgt, aufatmen und ein wenig weiterleben. Was mich folgerichtig auf den gestrigen Abend verweist.

Es gibt auch Sternstunden abseits der von Stefan Zweig beschriebenen „Sternstunden der Menschheit“. Eine solche war gestern die von unserem Vizepräsidenten Botschafter Dr. Alexander Christiani organisierten Veranstaltung im Musiksalon der Diplomatischen Akademie unter dem Titel „Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Westen-was steht uns noch bevor?“

Dieses zutiefst deprimierende Thema berührt uns alle, als Europäer, als Österreicher, so begann Dr. Christiani seine Einleitung und fuhr fort, er habe zwei Nachrichten für uns, eine schlechte und eine noch schlechtere.

Die schlechte ist, dass wir nicht wissen, wie es mit diesem Krieg weitergehen wird. Die noch schlechtere ist, dass wir es nicht einmal ansatzweise wissen können.

Er verweist jedoch darauf hin, dass die Stimmen für Diplomatie immer stärker werden. Beispielweise, dreißig sehr prominente demokratische Abgeordnete im US-Repräsentantenhaus setzten sich für eine Parallelität der Diplomatie und des Kriegsgeschehens ein. Sie wurden jedoch heftig angegriffen und mussten die Stellungnahme zurückziehen.

Nur ein Mann könne den Krieg beenden, so Botschafter Christiani: Wladimir Putin, während Wolodymyr Selenskyj sich vom Westen abhängig und sich somit in eine Ecke manövriert hat.

Die drei Vortragenden, Univ. Professor Wolfgang Mueller, Oberst d. G. Mag. Berthold Sandtner und Botschafter i.R. Dr. Wendelin Ettmayer, genial ausgewählt von unserem Vizepräsidenten, der es selbst nicht glauben konnte, wie uncharakteristisch einfach diesmal die Organisation war, repräsentierten drei verschiedene Standpunkte, von denen zwei sich ergänzten und der Dritte diametral zu den anderen stand.

Professor Mueller sprach sofort von einer verheerenden Bilanz.

Die Opferzahlen liegen nach neun Monaten Krieg dort,  wo der Bosnienkrieg nach drei Jahren gelegen ist, nämlich bei 120.000 Tote aufseiten der Russen, der Ukrainer und der Zivilbevölkerung. Die Russen, die sich auf ein afghanisches Szenario eingelassen hatten, scheiterten spektakulär. Dank westlicher Waffenhilfe, wobei über 60 % aus den Vereinigten Staaten kommt, konnten sich die ukrainischen Streitkräfte konsolidieren.

Russland hat somit keine seiner Kriegsziele erreicht, beging aber systematische Kriegsverbrechen, sieht sich auf Bali weitgehend isoliert und bei den Vereinten Nation durch eine historische Mehrheit von über 140 souveränen Staaten verurteilt. Dabei darf nicht übersehen werden, dass Russland immerhin ein permanentes Mitglied des Sicherheitsrates ist.

Wir befinden uns daher in einer neuen Kriegsphase: intensive Raketenangriffe gegen die Infrastruktur, verbale Aggression gegen den Westen und Cyberangriffe. Die Ukraine hat aber neun Monate überstanden. Mehr noch: Die russischsprachigen Ukrainer verbleiben als treue Staatsbürger, weil sie in der Ukraine dreimal so viel politische Freiheit genießen als in Russland.

Europa und besonders Deutschland haben versagt, Russland einzubinden, Schlagwort „Wandel durch Handel“. Ein Appeasement, verlorene Liebesmüh.

Professor Mueller schloss mit dem folgenden Ausblick. Es wird eine Atempause geben. Die Ukraine wird zumindest über den Ballungsräumen versuchen, den „Himmel zu schließen“ und drei Möglichkeiten:

  • Eingefrorener Konflikt
  • Sieg Russlands
  • Sieg der Ukraine.

Oberst Sandtner ergänzte mit einer weit ausholenden Beschreibung der Situation die seines Vorgängers.

Russlands ursprüngliches Ziel war die Auslöschung der Ukraine und der Glaube, es mit einem schwachen Westen zu tun zu haben. Ein alter Präsident Biden, Merkel weg, Scholz schwach usw.

Die Vorbereitung zum Angriff auf die Ukraine begann mit dem bekannten Manöver von 120.000 Soldaten. Man konnte aber nicht lange warten, also ging es am 24. Februar los und am 10. März 2022 war alles schon im Eimer. Dann kam noch die große Überraschung, dass nach einer Offensive der Ukraine Charkiv eingenommen wurde. Die Russen gingen den Ukrainern auf den Leim, da man ihnen erfolgreich vortäuschte, im Süden des Landes anzugreifen.

Ironischerweise ist der größte Waffenlieferant der Ukrainer die russische Armee, die, als sie Hals über Kopf türmten, ihr gesamtes Kriegsgerät zurückließen.

Am 21. September begann Russland mit einer Teilmobilisierung von 300.000 Mann, von denen schon 100.000 an der 1000 km langen Front eingesetzt sind und der Rest, 200.000, in Russland ausgebildet wird.

Als bemerkenswert sah Oberst Sandtner, dass zwischen dem 3. November und 14. November nichts geschah und erst am 15. 11. die Russen wieder aktiv wurden. Am 11.11. kam es zum Rückzug von 30.000 Mann mit einem kompletten Stillstand im Norden und einem relativen im Donbas. „Wunde lecken“, wie es Oberst Sandtner betitelt. Somit beginnt die „Winterruhe“.

Botschafter i.R. Dr. Wendelin Ettmayer, ein persönlicher Freund unseres Vizepräsidenten, begann sein Referat mit einer Grußbotschaft an ihn. Sei Dr. Christiani nicht nur Präsident der Österreichisch-Britischen Gesellschaft (Einwand von Botschafter Christiani „Vizepräsident“) so sei er auch Präsident der Alt-Botschafter. Er lobte sein gesellschaftspolitisches Engagement worauf Dr. Ettmayer mit tosendem Applaus bedacht wurde. „Es ist gut, dass man schon jetzt applaudiert“, lachte er, „weil man nicht mit allem einverstanden sein wird!“  Zwischenruf von Dr. Christiani: „Die haben mir applaudiert.“

Aber dann schwappte es über uns zusammen. Der Krieg hätte schon vor Jahrzehnten (1990) durch die „Neue Weltordnung“ (Bush Senior) angefangen. Leitend die US Neokonservativen, die erwarteten, dass die Vereinigten Staaten die Führung in der Welt behielten und eine Sicherheitsordnung gegen Russland aufbauten. Die Globalisierung schuf eine multipolare Welt, die zu Konflikten führt.

Die Sanktionen gegen Russland werden von den USA angeführt. Russland muss besiegt werden. In der EU lässt von der Leyen verlauten, dass Putin einen Krieg gegen unsere Werte führt und Österreich ist (natürlich) auf derselben Linie.

Waffen werden von der NATO geliefert und überhaupt sind die Medien die treibende Kraft gegen Russland. Journalisten werden zu Aktivisten und der Krieg wird wie ein Bilderbuch vermarktet. Die Verteufelung Putins (Putin ist der zweite Hitler) schreitet voran, wobei Dr. Ettmayer uns klarmacht, dass er absolut kein „Putinversteher“ sei.

Er stellt aber auch fest: Der Westen bleibt solidarisch, die NATO lebt auf und die EU ist US-Linie.

Er bedauert, dass die EU nicht auf die US einwirkt.
EU ersetzte „warfare durch wellfare“ „confrontation“ durch „cooperation“ jedoch die US bleibt ihrer Maxime treu:
„US Foreign policy without the backing of the military is like a baseball game without a baseball bat“

Prof. Mueller widersprach diesem „Antiamerikanismus“ und erinnerte daran, dass Russland in den vergangenen 400 Jahren jedes Jahr um die Größe der Schweiz „expandierte“. Für die Freiheit seines Landes, seiner Familie, seiner Kinder zu kämpfen, ist Ausdruck der Selbstbestimmung und Völkerrecht. Abschließend wiederholte er, dass es die souveränen Staaten seien, die in die NATO drängen und nicht durch den Zwang der USA.

Oberst Sandtner im Zusammenhang mit der von Dr. Ettmayer erwähnten „Vertraglichkeit“ (er hatte behauptet, dass es einen Vertrag gebe, der eine Erweiterung der NATO Richtung Russland untersage) es gibt das Budapester Memorandum. In den Vereinbarungen gaben Russland, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten von Amerika gemeinsam Kasachstan, Belarus und die Ukraine Sicherheitsgarantien in Verbindung mit deren Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag und als Gegenleistung für die Beseitigung aller Nuklearwaffen auf ihrem Territorium.

In der Schlussphase fragte Dr. Christiani die Vortragenden, ob es die geringste Chance von Verhandlungen gebe oder ob sich in Russland etwas ändern könnte. Eher nein, war die Antwort Prof. Mueller. Auch die Frage, ob es je zu einem Atomkrieg kommen könnte, wurde, Gott sei Dank, verneint.

Eine von Vizepräsident Botschafter Dr. Christiani solide geführte Moderation erlaubte eine sehr lebhafte Diskussion der Mitglieder mit dem Panel.

Die Erfrischungen, die dann folgten, waren nach über zwei Stunden faszinierender Diskussion sehr willkommen. Fazit: ein volles Haus, ein toller Abend und ein verdienter Riesenerfolg für unseren Vizepräsidenten!

***

 
Failed to get data. Error:
Quota exceeded for quota metric 'All requests' and limit 'All requests per day' of service 'photoslibrary.googleapis.com' for consumer 'project_number:682892989019'.

Mehr Bilder HIER