Rückblick auf den Vortrag aus der Reihe von Geopolitik I und II „Globale Auswirkungen des Krieges um die Ukraine“ mit Brigadier i.R. Dr. Walter Feichtinger in der Diplomatischen Akademie vom 25.4.2023

Von Wolfgang Geißler

Am 1. März lauschte ich, Dank einer Einladung der  US-Botschaft, einem top-aktuellen und sehr interessanten Vortrag von Nina Tannenwald, Fulbright Visiting Professor of International Studies, in der ehrwürdigen Diplomatische Akademie. Der Titel „The Global Nuclear Order after Russia’s War in Ukraine“.

Noch haben wir diesen Punkt eines Post Bellum nicht erreicht, doch stellte sie uns damals schon vor das folgende Problem „What the war in Ukraine has revealed about nuclear weapons“. The risk of nuclear escalation remains!

Was dazu führen könnte, beschrieb sie mit den folgenden Worten:

  • Creeping conventional escalation with a lack of diplomatic guardrails.
  • The challenge: how to prevent Russia from benefiting from its nuclear brinkmanship while still avoiding nuclear war.
  • A dangerous moment will come if Russia decides that a direct military confrontation with NATO is inevitable. Und schließlich die warnenden Worte der amerikanischen Professorin:
  • US/NATO and Ukrainian interests are not identical.

Die Interessen der Vereinigten Staaten und der NATO sind mit denen der Ukraine nicht identisch!

Warum ich das als Einleitung erwähne, werden Sie, geehrtes Mitglied und Leser bald erkennen.

Der lang erwartete zweite Teil des von unserem rührigen Vizepräsidenten Botschafter Dr. Alexander Christiani vorbereitete Vortrags Geopolitik II. fand am Dienstag, 25. April in der Diplomatischen Akademie statt. Der Vortragende war der Präsident des „Center für Strategische Analysen (CSA)“ Brigadier i.R. Dr. Walter Feichtinger, der sich mit dem Thema „Globale Auswirkungen des Krieges um die Ukraine“ befasste.

Dr. Christiani erwähnte in seiner Einleitung unseren Außenminister Alexander Schallenberg, der den latenten Antiamerikanismus in der Bevölkerung unlängst beklagte. Er gab ihm vollkommen recht, auch er weise jeden Antiamerikanismus zurück, verwies jedoch auf die Tatsache, dass, auch wenn wir eine Wertegemeinschaft darstellen, die Interessen der Vereinigten Staaten mit denen der EU nicht deckungsgleich wären.  Haben wir das nicht schon einmal gelesen? Richtig. Die Aussage von Prof. Tannenwald. Es wird lebenswichtig für die EU sein, sich allmählich von den Vereinigten Staaten zu emanzipieren und Dr. Christiani hofft für Österreich, dass endlich eine intelligente Debatte über die Sicherheitspolitik stattfinden möge. Das geschah zumindest in der späteren Debatte, in der man ernsthaft auch die Neutralität Österreichs im Rahmen der EU (Art. 42/7 EUV) infrage stellte.

„Es sind viel zu viele Bälle in der Luft, wir wissen nicht, wie der Krieg enden wird, ob und wie und wann, und daher hängt auch die europäische Sicherheitsarchitektur davon ab“, so Brigadier Dr. Walter Feichtinger. Seine Aufgabe sieht er an diesem Abend jedoch nachzuschauen, welche globalen Auswirkungen der Krieg haben kann.

Für ihn ist der Krieg nicht der wesentliche Veränderer in der geopolitischen Konstellation, aber der Katalysator für viele Entwicklungen, die eigentlich schon seit Jahren im Laufen sind. Auch wie sich das auf die großen Akteure USA und China auswirkt, denn wir sind in Europa, wenn wir das geopolitisch beobachten, nur ein Kriegsnebenschauplatz. Europa und die USA sind sich von der Werteorientierung wohl sehr nahe, sind aber von der Interessenauslegung und Interessendurchsetzung her nicht.

1. Geopolitischer Katalysator

Wir leben in einer multipolaren Welt mit vielen Akteuren, vielen Interessen und hoher Unberechenbarkeit.

„Multipolar“ bedeutet neun Pole:

  • China
  • USA
  • Russland
  • Indien
  • Brasilien
  • Iran
  • Saudi-Arabien
  • Türkei
  • EU

Um den „Globalen Süden“ (alle außer Australien und Neuseeland) wird vonseiten China gerungen und dieses Ringen ist im vollen Gang. China erklärt sich und diese als Weltmehrheit und Russland ist ein Teil davon.

Eine bipolare „Systemische Rivalität“ tut sich da auf:

Auf der einen Seite die USA

  • Demokratie

„Wir müssen zeigen, dass unser Modell kein Relikt der Vergangenheit ist, sondern das Beste!“ Joe Biden MSC 2021.

Auf der anderen Seite China

  • Autoritäre Systeme

„Weltschicksalsgemeinschaft“ mit „moralischer Führungsmacht“ Xi Jinping

2. USA-China

Die (zukünftige) Konfliktzone ist der Indopazifik. China ist nicht glücklich über die Präsenz der Amerikaner.

Ein Unruheherd für die US ist ihr „Hinterhof“, Mittel- und Südamerika, in denen China und Russland kräftig umrühren. Honduras etwa, aberkannte Taiwan auf Wunsch der Chinesen und in Venezuela haben schon die Russen Fuß gefasst.

Einen wesentlichen Punkt erwähnte Brigadier Feichtinger, der uns vermutlich gar nicht so bewusst ist:

  • Eine Supermacht muss gleichzeitig einen großen und zwei kleine Kriege führen können!

Auf die USA gemünzt bedeutet das ein kleines Engagement in der Ukraine, ein weiteres sicherheitspolitisches im „Hinterhof“ und das potenzielle große Engagement, der „große Krieg“, ist im Indopazifik. Hier ist auch die potenzielle, und etwas beunruhigende, Trennungslinie der Interessen der EU und den USA.

In dieser indopazifischen Region treffen auch die zwei Doktrinen aufeinander:

Die chinesische Doktrin des „Roll Back – Zurückdrängens“ und die US-Doktrin des „Containment – Eindämmen“ und der „Hub and Spokes – Nabe und Speichendoktrin“. Somit ist die Konfliktregion per se etabliert: das ostchinesische und das südchinesische Meer. Dazu kommt auch, dass Russland gegen Japan plötzlich im Streit um die südlichen Kurilen kecker auftritt. Die Kurilen oder Kuril-rettō sind eine etwa 1200 Kilometer lange, zu Russland gehörige und territorial teilweise umstrittene Inselkette mit mehr als 30 großen und kleinen Inseln vulkanischen Ursprungs in Ostasien. Sie verbinden wie eine Kette die russische Halbinsel Kamtschatka mit der japanischen Insel Hokkaidō.

Chinas Ambitionen sind klar: Kontrolle zu übernehmen und sich den freien Zugang zum südchinesischen Meer zu sichern. Dazu baut es die Atolle aus und hat bereits eine größere Marine als die USA!

Also, welche Lehre haben die Chinesen aus dem Krieg Russlands gegen die Ukraine gezogen? Zum einen, China muss bis 2027 militärisch fähig sein, Taiwan einzunehmen. Zum anderen muss es eigentlich gar nicht „erobert“ werden. Es genügt, Taiwan einfach „abzuriegeln“. Allein die Isolierung ist eine permanente Überforderung der taiwanischen Streitkräfte und der Zivilgesellschaft. Dieses „Mürbemachen“ geht so lange, bis die Welt „nur noch Peking anerkennt“. Dann fällt den Chinesen Taiwan wie eine reife Frucht, ohne einen Schuss gefeuert zu haben, in den Schoß.

Für Europa ist das doch bis zu einem gewissen Grad beunruhigend, denn es zeigt brutalst, dass wir ganz allein, ja nahezu nackt in einem möglichen Konflikt auf dem europäischen Kontinent dastehen.

Zur Eindämmung (Containment) Chinas im südchinesischen Meer, aber auch um die Freiheit der Schifffahrt weltweit zu garantieren und als Abschreckung entstanden zwei gewaltige Blöcke:

  • QUAD

USA, Indien, Australien, Japan

  • AUKUS

Australien, UK, USA

3. Geostrategische Zwischenbilanz

Die viel zitierte „Zeitenwende“ ist in Europa eingetreten, wobei besonders die sogenannte „Friedensdividende“ zu erwähnen ist, während der die Verteidigung nicht im Vordergrund stand.

  • Tatsache bleibt, dass die Kohäsion der EU hält, aber wird sie auch im Herbst noch halten?
  • Die NATO hält!
  • Die Wirtschaft in der EU sind härter betroffen als die, der USA.

Es wird allmählich klar, dass wir uns generell auf einen Krieg zumindest gedanklich einstellen, genauer gesagt vorbereiten müssen. Die Aufstockung auf 2 % des BIP des Verteidigungsbudgets der NATO bis 2024 ist beschlossen, wobei die Polen sogar ihres auf 4 % des BIP hinaufschrauben.

Wenngleich die Wirtschaft der EU wettbewerbsfähig bleiben muss (wenn der Wohlstand in Gefahr ist, dann ist das sofort an den mehr als merkwürdigen Wahlergebnissen zu erkennen!), ist es essenziell, alte Abhängigkeiten zu beseitigen. Das bedeutet, nie mehr als 25 % aus einer Quelle, auch wenn das teurer wird.

Ein schmerzhafter, aber wesentlicher Punkt ist die Forderung nach der strategischen Autonomie Europas. Das bedeutet einerseits, das transatlantische Verhältnis zu überdenken (die eventuelle Wahl eines neuen „Trumps“ in den USA könnte in zwei Jahren für Europa bewirken, dass es allein auf sich angewiesen ist), das bedeutet andererseits aber trotzdem nicht, dass wir uns von den USA abkoppeln, sondern, dass wir uns mit ihnen abstimmen sollen!

Bis auf absehbare Zeit, von Dr. Feichtinger geschätzten 10–15 Jahren, wird das Verhältnis der EU zu Russland bedauerlicherweise verhärtet sein. Bedauerlich, denn Russland bleibt geografisch unser Nachbar!

Unter dem Abschnitt: Kriegsfolgen-geopolitische Zusammenschau zeichnete Brigadier Feichtinger folgendes Bild:

  • Russland

Putin sitzt noch immer sicher in seinem Sattel. Er hatte einfach genügend Zeit, die meisten Gegner, ob persönlich oder in den Medien auszuschalten. In der Außenpolitik ist Russland isoliert (trotz Charmeoffensiven Lawrows) und hundertprozentig abhängig von China (Dr. Fasslabend hat schon in seinem Vortrag darauf hingewiesen!). Negative Bewertungen gab es durch die Bank in Sicherheit und Ökologie.

  • EU

Innen-, sowie außenpolitisch vielleicht durchwachsen, darf aber trotzdem positiv gesehen werden. Die Wirtschaft wurde tatsächlich geschwächt, während Sicherheit und Ökologie in beide Richtungen weisen, somit doch positiv. Dazu kommt, dass die europäische, aber auch österreichische Industrie „unglaublich anpassungsfähig“ ist (Zitat Dr. Feichtinger).

  • USA

Innenpolitisch wird der Zustand als „offen“ bezeichnet, während in allen Bereichen, außer der Ökologie, man nur Positives melden kann.

  • China

Der lachende Dritte. Nur wirtschaftlich und ökologisch gibt es negative Vorzeichen. Soweit es die Sicherheit betrifft, gibt es das Prädikat „offen“.

4. Ausblick

Die eingangs erwähnte „Multipolare Welt“ bleibt, vielleicht mit anderen Akteuren, bestehen, somit bleibt die globale Unsicherheit, was (wieder) zur militärischen Aufrüstung führt.

Ohne moralische Bewertung: China macht jetzt das, was die USA nach 1945 gemacht hat.

Das große und bis dato unbeantwortete Fragezeichen kann in den folgenden Aussagen zusammengefasst werden:

  • Wie oder wo kommt der Krieg zum Stehen?
  • Besteht Europa die Belastungsprobe?
  • Wie resilient ist Russland?
  • Welche geopolitischen Folgen hat der Krieg?

Zumindest erlaubte uns Brigadier Dr. Walter Feichtinger zum Abschluss einen persönlichen Einblick in den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine.

Nach seiner Meinung hat Russland einfach nicht die Kapazität, einen machbaren Angriff bis zu dem entscheidenden Sieg durchzuführen. Es reicht gerade zum verteidigenden Stellungskrieg, was ihnen ermöglicht, die Russifizierung der besetzten Gebiete voranzutreiben.

Für die Ukraine ist es vermutlich ernüchternd feststellen zu müssen, dass sie vielleicht doch nicht alle geforderten militärischen Geräte zeitgerecht erhalten werden. Trotzdem, alles wartet auf die Gegenoffensive.

Nehmen wir an, die Ukraine greift mit etwa 40.000 Mann, also etwa neun Brigaden und das zur Verfügung stehende Gerät in gezielten Stößen an, dann werden sie sicher nicht das gesamte von den Russen besetzte Gebiet zurückerobern können. Aber das sollte doch genügen, auch wenn aus propagandistischen Gründen Präsident Selenskyj von einer totalen Befreiung spricht.

Die folgende hochintellektuelle Diskussion unserer Mitglieder mit Dr. Feichtinger bewies wieder einmal deren tiefe Kenntnis der Materie.

Den Abschluss machte, wie immer, das hervorragende Catering der Diplomatischen Akademie mit hauseigenem Wein und köstlichen Canapés.

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