„VERTEIDIGUNGS-UND SICHERHEITSPOLITIK:
WARUM EUROPA AUF DIE BRITEN NICHT VERZICHTEN KANN“

Von Alexander Christiani (Der Text erschien als Gastkommentar in der Ausgabe der Wochenzeitung „Die Furche“ vom 14. Februar 2019)

In der höchst emotional und chaotisch geführten Debatte über BREXIT wird ein ganz wesentlicher Aspekt nahezu ausgeblendet. Er betrifft das künftige Verhältnis des Vereinigten Königreiches zu der Europäischen Union im Bereich der Verteidigungs-und Sicherheitspolitik.

Nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU wird es- zumindest formell- nicht mehr Teil der europäischen “Common Security and Defense Policy (CSDP)“ sein. Der Einfluss des VK auf die europäische Sicherheit wird jedoch in diesem Falle sehr stark bleiben und nicht nur wegen seiner Rolle in der NATO, sondern auch als der weltweit potenteste und engagierteste europäische Partner.

Mehrere Szenarien für die Auswirkungen von BREXIT auf die europäische Sicherheits-und Verteidigungspolitik sind denkbar. Von einer Beschleunigung der Integration zu einer begrenzten Auswirkung, bis zu einer Fragmentierung und schließlich dem Zusammenbruch des Systems der CSDP.

Die Europäische Union hat in den letzten beiden Jahren begonnen in den Bereichen der Verteidigung und Sicherheit Parallelstrukturen zur NATO aufzubauen. Sie reichen vom sog. „European Defense Action Plan-(EDAP“) bis zu einer permanenten strukturieren Zusammenarbeit („Permanent Structured Co-operation- PESCO“) sogar bis zur Schaffung einer Europäischen Verteidigungs- Union („European Defense Agency“). Interessant ist, dass diese im Jahre 2017 in Brüssel gefassten Beschlüsse mit voller Zustimmung des Vereinigten Königreiches erfolgten.

Man hätte annehmen können, dass nach dem Referendum zum Austritt des Landes aus der EU vom 24.Juni 2016 das VK derartige Vorhaben blockieren würde.
Dass es dazu nicht gekommen ist, deutet darauf hin, dass –unabhängig vom BREXIT– das Land weiterhin höchst interessiert ist, in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit das enge Verhältnis zur EU aufrecht zu erhalten.

Das betrifft nicht nur die Verteidigung im engeren Sinn, sondern auch die europäische Sicherheit und hier insbesondere die Terrorismusbekämpfung und die „Intelligence“-wo Großbritannien seit langer Zeit führend ist.

In diesem Sinne hat die britische Regierung im September 2017 eine Grundsatzerklärung unter dem Titel „Foreign policy, defense and development- a future partnership paper“ veröffentlicht, das der EU 27 in diesen wichtigen Fragen volle Kooperation zusichert. Es soll hier praktische keine Einschränkungen in der bisherigen Zusammenarbeit geben.GB schränkt lediglich ein, dass es selbst entscheiden müsse, an welchen künftigen Militäroperationen und Kooperationsfeldern es teilnehme und an welchen nicht. London ist zudem bereit, sich auch nach dem BREXIT an der EU Rüstungsagentur, an den einschlägigen Rüstungsforschungen und am satellitengestützten Ortungssystem GALILEO -wie in der Vergangenheit- zu beteiligen. Dies würde ebenso finanzielle Verpflichtungen einschließen. In Zukunftsfeldern, wie Cybersecurity, bietet das VK der EU ebenfalls eine umfassende Kooperation an. Nicht erstaunlich ist, dass ungeachtet dieser Überlegungen, die britische Regierung NATO weiterhin als den wichtigsten Anker der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ansieht und allen Versuchen, NATO zu schwächen, eine Absage erteilt. Dies steht allerdings in gewissem Widerspruch zu der Bereitschaft, am Aufbauen reiner EU Maßnahmen auf diesen Gebieten mitzuwirken.

In der Einschätzung der europäischen und globalen Bedrohungs- Szenarien besteht weitgehende Einheit zwischen Großbritannien und der Europäischen Union. Diese Bedrohungen betreffen insbesondere Terrorismus, Extremismus und Instabilität, Auswirkungen der Technologie in den Bereichen Cyber–Kriminalität und Abschreckung von Staats- basierten Bedrohungen.

Auch bei der Cyber- Security hat das VK eine führende Rolle inne: In der „2016 National Security Cyber Strategy“ wird die Verpflichtung ausgesprochen, in den nächsten 5 Jahren eine Summe von 1,9 Milliarden Pfund für Cyber -Kapazität auszugeben. GB hat darüber hinaus entscheidende Beiträge zur Entwicklung der sog. „EU Network and Information Security(NIS)“ Direktive geleistet und beteiligt sich an der Entwicklung des „NIS Computer Security and Incident Response Team(CSIRT)“. Auch stellt GB wichtige Beiträge zur „European Union Agency for Network and Information Security(ENISA)“ zur Verfügung.

Was das Verhältnis EU zur NATO anlangt, so wird das in Zukunft von der Relation CSDP zum Post-Brexit abhängen. Die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Organisationen könnte leiden, sollte CSDP stagnieren. Sollte andererseits die EU ein stärkerer und glaubhafterer Akteur im Krisenmanagement werden, so könnte dies in eine bessere und mehr formalisierte Aufgabenverteilung münden. In anderen Worten: sollte sich die europäischen Verteidigungsintegration beschleunigen, dann könnte es zu einer Duplizierung der Aktivitäten kommen, was wiederum u.a. die vorhandenen finanziellen Mittel belasten würde.

BREXIT wird über diese Überlegungen hinaus auch besondere Auswirkung auf die bilateralen Beziehungen des VK mit Frankreich, Deutschland und den Vereinigten Staaten haben. Die beiden sog. „Lancaster House Abkommen“ zwischen GB und Frankreich im Jahre 2010 haben die britisch-französische Verteidigungs- und Sicherheits-Partnerschaft in eines der engsten und zentralsten bilateralen Abkommen für Paris entwickelt Dies vor allem in der Zusammenarbeit der beiden Armeen in zahlreichen Fällen.

Auch wird das französisch-deutsche Verhältnis für die weitere Richtung der europäischen Sicherheits- Und Verteidigungspolitik entscheidend sein. Frankreich bleibt in der EU das einzige Atom-Land und ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates, was eine dominante Stellung mit sich bringt.

Was das Verhältnis zwischen dem VK und den Vereinigten Staaten nach Brexit betrifft, so ist vorauszusehen, dass die vielzitierte „special relationship“ der beiden Staaten im beiderseitigen Interesse aufrecht erhalten wird. In militärischen Belangen basiert die Zusammenarbeit zwischen dem VK und den USA auf einer weitreichenden Angleichung der Waffensysteme und in der Entwicklung von Ausbildung und Operation.

Auch nach dem Ausscheiden GBs aus der EU bleibt die Bekämpfung des Terrorismus oberstes Ziel. Jedoch gibt es keinen Automatismus, der die Teilnahme des VK an europäischer polizeilicher oder justizieller Zusammenarbeit sicherstellen würde. Es wäre von besonderem Interesse für die Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten, weiterhin von der berühmten „British Intelligence“ zu profitieren.

Andere EU Mitgliedstaaten mit denen das Vereinigte Königreich enge bilaterale Verteidigungsabkommen hat ,wie Dänemark, die Niederlande, Polen Schweden und die Baltischen Staaten, werden ebenfalls ihre strategische Ausrichtung nach Brexit neu definieren müssen.

Alles in allem sind die Dinge als Folge des Austritts des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union naturgemäß nicht nur in wirtschaftspolitischen Fragen, den berühmten „Vier Freiheiten“ der EU und vor allem der Regelung der Irland Frage, sondern insbesondere auch in den in dieser Zusammenfassung beschriebenen Bereichen sehr im Fluss. Gerade in dieser Frage besteht aber ein größeres Potential zu zukunftsweisenden und für beide Seiten akzeptablen Entscheidungen zu kommen.

So sehr ich – wie nunmehr nahezu alle in der Europäischen Union – die Entscheidung der britischen Bevölkerung kritisiere und sie insbesondere im Falle eines ungeregelten Brexit für katastrophal für das Land und schädlich für die EU27 halte, bin ich überzeugt, dass eine weitere enge Zusammenarbeit mit dem VK post-Brexit im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich für uns alle unverzichtbar bleiben wird.

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