Rückblick auf den Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mueller, gehalten am 14. Mai 2025 in der Diplomatischen Akademie Wien. (Fotos © Wolfgang Geißler)
Von Wolfgang Geißler
Als Wladimir Putin im Jahr 2000 das Präsidentenamt übernahm, glaubte Europa an einen Neuanfang. Wer sich heute an die Rede erinnert, die er 2001 im Deutschen Bundestag hielt – in fließendem Deutsch und begleitet von stehenden Ovationen –, der mag kaum glauben, wie sehr sich dieser Mann und sein Land seither verändert haben. Oder wurde gar nicht er selbst zum anderen, sondern nur unsere Wahrnehmung von ihm?
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mueller, einer der profundesten Russlandkenner Österreichs, stellte in seinem Vortrag in der Diplomatischen Akademie Wien diese verbreitete Sichtweise grundlegend in Frage. Sein Befund: Nicht Wandel, sondern Kontinuität prägt Putins Herrschaft – eine Kontinuität autoritärer, expansionistischer und ideologisch unterfütterter Machtpolitik, die von Anfang an angelegt war.
Einführung durch Dr. Alexander Christiani – klarsichtig und klug zugespitzt
Den gedanklichen Rahmen für den Abend setzte Botschafter Dr. Alexander Christiani, Vizepräsident der Österreichisch-Britischen Gesellschaft, mit einer kurzen, aber pointierten Einleitung. In vier zugespitzten Thesen skizzierte er die geopolitische Lage: Russland habe Europa zum Gegner erklärt; Putin spiele ein gefährliches Doppelspiel mit dem Westen – besonders mit Persönlichkeiten wie Trump; Sanktionen gegen das Regime hätten sich als weitgehend wirkungslos erwiesen; und die EU sei zu lange nicht in der Lage gewesen, einen realistischen Friedensplan für die Ukraine vorzulegen.
Dr. Christiani verstand es, diese Sätze nicht als fertige Urteile, sondern als offene Denkanstöße zu präsentieren – mit einem feinen ironischen Unterton, aber nie zynisch. Und er übergab damit das Wort an einen Vortragenden, der für Differenzierung ebenso wie für historische Tiefe steht.
Vom Geheimdienst zur „gelenkten Demokratie“ – die Kontinuität der Macht
Prof. Mueller entfaltete in ruhiger, konzentrierter Weise ein Bild Russlands, das viele westliche Beobachter immer noch nicht zu sehen bereit sind. Er erinnerte daran, dass Putin nicht als Reformer, sondern als Funktionär des sowjetischen Sicherheitsapparates an die Macht kam – ausgestattet mit einem autoritären Verständnis von Stabilität, Loyalität und Kontrolle. Die scheinbar liberale Anfangsphase seiner Präsidentschaft sei mehr pragmatisch als programmatisch gewesen.
Schon in den frühen 2000er-Jahren begann Putin, ein Machtgefüge zu errichten, das auf der Kontrolle der Medien, der Entmachtung der Oligarchen und der systematischen Ausschaltung oppositioneller Kräfte beruhte. Dabei, so Prof. Mueller, sei es ihm gelungen, durch eine Mischung aus wirtschaftlicher Erholung – befeuert vom Ölpreisboom – und nationalistischer Rhetorik breite Zustimmung in der Bevölkerung zu mobilisieren. Die „gelenkte Demokratie“ sei kein Abfallprodukt, sondern das System selbst.
Farbrevolutionen und die Angst vor dem demokratischen Funken
Eindringlich war Prof. Muellers Analyse der sogenannten Farbrevolutionen in Georgien, der Ukraine und anderen postsowjetischen Staaten. Für den Westen seien sie ein Zeichen demokratischer Reifung gewesen – für den Kreml hingegen eine existenzielle Bedrohung. Nicht, weil sie militärisch gefährlich gewesen wären, sondern weil sie das russische Machtmodell delegitimierten.
Aus dieser Angst heraus habe Putin begonnen, die russische Öffentlichkeit systematisch gegen westliche Demokratien zu immunisieren – durch Geschichtspolitik, Desinformation und die Mobilisierung eines ideologischen Gegensatzes: Russland als letzte Bastion traditioneller Werte gegen ein angeblich dekadentes Europa. Prof. Mueller sprach hier von einer „intellektuellen Autarkie“, die sich nicht auf Fakten, sondern auf narrative Überlegenheit stütze.
Die strukturelle Stabilität des autoritären Modells
In der anschließenden Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, ob ein Ende Putins auch ein Ende des Systems bedeuten würde. Prof. Mueller blieb nüchtern: Der „Putinismus“ sei weniger personengebunden, als viele glaubten. Er stütze sich auf Netzwerke, Loyalitäten und politische Kulturmuster, die über den Mann hinausreichen. Selbst eine demokratisch gewählte Nachfolge hätte wenig Spielraum, wenn sich nicht auch Gesellschaft und Institutionen grundlegend wandeln.
Auch der Glaube an die Umkehrbarkeit von Entwicklungen – an ein „Zurück“ zu liberalen Reformen – sei naiv. Russland habe sich, so Prof. Mueller, in eine autoritär-staatliche Richtung entwickelt, die von einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung nicht nur ertragen, sondern bejaht werde. Und: Wer heute in Russland eine offene, systemkritische Meinung äußert, setzt nicht nur seine Freiheit, sondern oft auch sein Leben aufs Spiel.
Ausklang mit Stil – und leisem Nachhall
Nach dem Vortrag und der Fragerunde verlagerte sich das Geschehen wie gewohnt in das Vestibül der Diplomatischen Akademie, wo bei Wein und Canapés das Gespräch weiterging. In kleinen Gruppen wurde das Gehörte reflektiert – ruhig, aufmerksam, gelegentlich mit spürbarer Betroffenheit. Die große Politik, eben noch sachlich analysiert, erschien im persönlichen Austausch oft noch greifbarer.
Vielleicht gelingt es meinen Fotos, etwas von dieser nachdenklichen, zugleich fröhlichen Atmosphäre einzufangen. Zurück bleibt der Eindruck eines Abends, der nachwirkt – nicht nur wegen der Analyse eines der umstrittensten Regime unserer Zeit, sondern auch wegen der Klarheit, mit der Prof. Mueller historische Zusammenhänge herausarbeitete – und der ruhigen Souveränität, mit der Dr. Christiani durch den Abend führte.
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