Ein Aufsatz über Wilhelm Jungmann & Neffe, Kaiserlich und Königliche Hof- und Kammerlieferanten
Mittwoch, 3.11.2021

von Wolfgang Geißler

Betritt man das Geschäft von Wilhelm Jungmann & Neffe am Albertinaplatz, so fühlt man sich sofort in eine vergangene Ära versetzt. Kein Wunder, denn das Unternehmen für Stoffe und Accessoires besteht bereits seit dem Jahr 1866. Der weitläufige Verkaufsraum im Stil des Historismus beeindruckt, gilt Jungmann & Neffe doch als eines der wenigen original erhaltenen Geschäftslokale der Gründerzeit in Wien. Bis unter die Decke stapeln sich exklusive Stoffe, aus denen sich Kundinnen und Kunden hochwertige Kleidung maßschneidern lassen. Die Auswahl an Accessoires wie Krawatten, Stecktüchern, Schals oder Regenschirmen kann sich ebenfalls sehen lassen.

Die Anfänge des 1866 als Schneiderzugehörhandel angemeldeten und später zum k.u.k. Hoflieferanten aufgestiegenen Betriebs Wilhelm Jungmann & Neffe lassen sich auf eine Adresse im Textilviertel (Salvatorgasse 3) zurückführen, wo Wilhelm Jungmann gemeinsam mit Wilhelm Steiner den Schneiderzugehörhandel betrieb. Bereits 1867 wurde diese Gesellschaft wieder aufgelöst und Sigmund Reinitz trat in das Unternehmen ein, aber schon 1869 trennten sich Sigmund Reinitz und Wilhelm Jungmann wieder. Bis 1873 betrieb Wilhelm Jungmann daraufhin den Handel allein unter seinem Namen. Im Jahr 1873 trat schließlich Wilhelm Dukes, der Neffe Wilhelm Jungmanns, dem Unternehmen bei, worauf auch der neue Geschäftsname „Jungmann & Neffe“ basiert. 1880 suchten Wilhelm Jungmann und Wilhelm Dukes um den k.u.k. Hoflieferantentitel an und zeitgleich wählten sie ein Eckhaus an der Augustinerstraße/Albertinaplatz als neues, großes Geschäftslokal. Als die Bauarbeiten bereits sehr weit fortgeschritten waren, baten Wilhelm Jungmann und Neffe erneut um eine baldige Verleihung des Hoflieferantentitels, um gegebenenfalls die neu anzufertigenden Schilder, Wappen, et cetera für das neue Geschäftslokal unter Angabe des neuen Titels anfertigen zu lassen. Eine Woche später erhielten sie einen positiven Vorbescheid und im März 1881 das Dekret ausgefertigt. Kurz nach Verleihung des k.u.k. Hoflieferantentitels eröffneten Wilhelm Jungmann und Wilhelm Dukes im September 1881 ihr neues Geschäft am Albrechtsplatz 3 (heute Albertinaplatz). Unter den Kundinnen waren Vertreterinnen des europäischen Hochadels wie die Kaiserinnen Elisabeth und Auguste Victoria, Damen aus Diplomatie, aus dem internationalen Großbürgertum und der amerikanischen Geschäftswelt. Auch Kundinnen aus den wohlhabenden jüdischen Adelsfamilien und Großbürgertum, wie etwa die Baronin von Todesco finden sich unter der Stammkundschaft. In den Werkstätten im ersten Stock wurden komplette Damengarderoben gefertigt, vom Hut, Oberbekleidung, Pelzen bis zur Weißwäsche. Wilhelm Jungmann zog sich 1885 aus dem Unternehmen zurück, Wilhelm Dukes war aber bis in die Mitte der 1930er-Jahre gemeinsam mit seinen Brüdern und seinen Söhnen im Unternehmen aktiv. Er starb 1938 im 90. Lebensjahr. Im Jahre 1942 wurde das Geschäft an Walter Suchy verkauft, das seitdem von dieser Familie geführt wird und nun seit 2005 von dessen Urenkel Georg Gaugusch geleitet wird, also in vierter Generation. Seine Mutter hat vor ihm das Geschäft geführt, davor seine Großmutter und vor ihr sein Urgroßvater. Für Georg Gaugusch steht die Qualität seiner Stoffe und Waren an oberster Stelle. So bezieht er die meisten Textilien aus England oder Italien und für die Zusammenarbeit kommen nur die besten europäische Schneidereien infrage.

Wenn man 150 Jahre in Mitteleuropa existiert, durchlebt man natürlich auch die historischen Entwicklungen der jeweiligen Zeit. Deshalb bringt Dipl.-Ing. Gaugusch die Pandemie momentan auch nicht aus der Fassung, denn sie haben schon die Spanische Grippe überlebt, wie er erzählt. Auch Brexit kann und konnte diesem Optimismus nichts anhaben!

Ein Höhepunkt ihrer Geschichte war auf jeden Fall die Grundidee, französische Stoffe nach Österreich zu bringen, um den Seidenwebern in Wien zu zeigen, wie man das macht. Für sie war aber die düsterste Zeit sicher die NS-Zeit, weil der Betrieb da fast zugrunde gegangen wäre. Schwer waren auch die 70er- und 80er-Jahre, als billige Ware aus Fernost in Mode gekommen ist und Qualität nicht mehr so eine große Rolle gespielt hat. Seit Beginn der 90er-Jahre mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem EU-Beitritt haben Jungmann & Neffe wieder ihren „Weltmarkt“, so wie einst in der großen Monarchie. Für die Zukunft ist man vorsichtig optimistisch. Jungmann & Neffes Geschäft ist eine Nische, oder eher eine Nische der Nische, aber Qualität wird für viele junge Leute wieder wichtig.

Die Stoffe kommen aus England und Italien. Hier im Geschäft gibt es zwei goldene Regeln: keine Kunstfasern und nur hochwertige Stoffe aus Europa, eben hauptsächlich England und Italien und ein bisschen Leinen aus Österreich. Georg Gaugusch klärt uns über den weltberühmten Harris Tweed auf und Dr. Marie-Theres Arnbom erklärt uns wie der „harte“ Cashmere zum „flauschigen“ Cashmere wird: Der steinharte Cashmere wird über Bretter mit unzähligen Disteln darüber gezogen und somit aufgeraut, bis er „kuschelig“ wird.

Der Abend klang aus in gewohnter Austro-British Society Manier: Der Wein floss und die exzellenten Canapés, wie immer courtesy Café Ministerium, mundeten offensichtlich jedem im eleganten Rahmen von Jungmann & Neffe.

 
Failed to get data. Error:
Quota exceeded for quota metric 'All requests' and limit 'All requests per day' of service 'photoslibrary.googleapis.com' for consumer 'project_number:682892989019'.

Mehr Fotos: https://photos.app.goo.gl/eeSHdcmEd73sEn6U9