Ein Abend mit Dr. Erika Freeman
Über Leben, Erinnerung und die Kunst der Hoffnung
Ein Rückblick auf das Gespräch: Uschi Pöttler-Fellner im Dialog mit Prof. Dr. Erika Freeman im Café Ministerium am 11. Dezember 202.
(Fotos: © Wolfgang Geißler)
Von Wolfgang Geißler
Nur 24 Stunden nach dem so beeindruckenden Benefizkonzert mit Clemens Unterreiner in der Lutherischen Stadtkirche treffen wir uns nun erneut – dieses Mal im Café Ministerium – zu einem Abend des Gesprächs, der Erinnerung und der Reflexion.
Mit herzlichen Worten begrüßte Prof. Dr. Kurt Tiroch die zahlreich erschienenen Mitglieder und Gäste der Austro-British Society zur 29. Veranstaltung des laufenden Jahres. Nach dem intensiven kulturellen Auftakt des Vortages sei man nun wieder an einem Ort der persönlichen Begegnung angelangt.
Die hohe Zahl der Besucherinnen und Besucher sorge nicht nur für gespannte Aufmerksamkeit, sondern auch für eine spürbare Wärme im Raum, wie der Präsident leicht ironisch bemerkte. Diese Atmosphäre passe jedoch gut zu einem Abend, der bewusst als besonderes Highlight in der Vorweihnachtszeit gesetzt worden sei: ein Gespräch, das Lebenserfahrung, Zeitgeschichte und menschliche Weisheit auf außergewöhnliche Weise miteinander verbinde.
Mit besonderer Freude begrüßte Prof. Dr. Tiroch Prof. Dr. Erika Freeman, eine Persönlichkeit, deren Lebensweg ebenso beeindruckend ist wie ihre geistige Wachheit und ihr unerschütterlicher Humanismus. Das Gespräch werde von Uschi Pöttler-Fellner geführt, die diesen Abend initiiert und ermöglicht habe.
Das Gespräch
Uschi Pöttler-Fellner im Dialog mit Prof. Dr. Erika Freeman
Zu Beginn stellte Uschi Pöttler-Fellner kurz das gemeinsame Buch „Reden wir übers Leben“ vor. Es sei aus vielen Gesprächen entstanden – Gespräche über Gott und die Welt, über Zweifel, Zuversicht und die Frage, was ein gelungenes Leben ausmacht. Ziel sei es gewesen, Erika Freemans außergewöhnlichen Erfahrungsschatz festzuhalten und weiterzugeben. Das Publikum habe an diesem Abend das Privileg, diese Gespräche nun live zu erleben.
Erika Freeman eröffnete – ganz in ihrer charakteristischen Art – mit einem Satz, der Gelassenheit und Hoffnung zugleich ausdrückt:
„Wenn es mir heute nicht gut geht, dann geht es mir morgen gut.“
Diese Haltung, so wurde rasch deutlich, ist keine Floskel, sondern das Ergebnis eines langen, oft schmerzhaften Lebenswegs.
In eindringlichen, ruhigen Worten erzählte sie von ihrer Kindheit in Wien, vom Jahr 1938, vom Einmarsch der Nationalsozialisten, von wachsender Ausgrenzung und Angst. Sie erinnerte sich an die Reichspogromnacht und an die Entscheidung ihrer Mutter, sie mit zwölf Jahren allein auf die Reise zu schicken – nicht im Rahmen eines organisierten Kindertransports, sondern als individuelles Schicksal. Ihre Mutter konnte Wien nicht verlassen; ein Visum blieb ihr verwehrt.
Diese Trennung prägte Erika Freeman tief. Sie sprach davon, wie Kinder Gefahren spüren, ohne sie begreifen zu können, und wie sehr das Gefühl, „gewollt zu sein“, über seelisches Überleben entscheidet. In den USA angekommen, fehlte ihr zunächst alles: Sprache, Geborgenheit, Verständnis. Ihre Berichte über das, was in Wien geschehen war, wurden ihr nicht geglaubt – nicht aus Bosheit, sondern weil die Wahrheit zu unbequem schien. Diese Erfahrung habe sie früh gelehrt, wie schwer es Menschen falle, das Unvorstellbare anzunehmen.
Die Geschichte ihrer Mutter endet tragisch: Sie kam beim Bombenangriff auf den Philippshof im März 1945 ums Leben. Erika Freeman sprach darüber ohne Pathos, aber mit spürbarer innerer Klarheit – und mit dem Bewusstsein, dass Erinnerung Verantwortung bedeutet.
Aus diesen Erfahrungen entwickelte sich ihr Weg zur Psychoanalyse. Sie habe früh erkannt, dass besonders Künstlerinnen und Künstler Menschen seien, die anders fühlen, anders denken und oft mehr aushalten müssten als andere. Ein wenig „meschugge“ zu sein, so Freeman, sei manchmal notwendig, um nicht verrückt zu werden. Normalität sei nichts Schlechtes – aber Kreativität verlange einen Preis.
Mit großer Diskretion und feinem Humor berichtete sie von Begegnungen mit Persönlichkeiten aus Kunst und Film: von Marilyn Monroe, deren Intelligenz oft unterschätzt worden sei, von Marlon Brando, von der Welt des Actors Studio um Lee Strasberg. Ruhm, so Freeman, schütze nicht vor Einsamkeit, und Schönheit garantiere keine Anerkennung. Entscheidend sei, ob ein Mensch gesehen werde – wirklich gesehen.
Ein zentraler Gedanke ihres Denkens ist das jüdische Konzept des Tikkun Olam: die Verpflichtung, die Welt ein Stück besser zu machen. Nicht wichtig solle man sein, sondern nützlich; nicht ausnützen, sondern beitragen. Hass, so Freeman, sei eine Krankheit – und mache zuerst den krank, der ihn hegt. Freude hingegen sei ansteckend, ebenso wie Güte.
Auch über Wien sprach sie offen. Die Erinnerungen an die Stadt seien lange schmerzhaft gewesen, doch Wien habe sich verändert – oder sei vielleicht zu sich selbst zurückgekehrt. Heute empfinde sie die Stadt wieder als Heimat. Besonders berührte sie, dass man ihr hier zuhöre.
In der anschließenden Fragerunde, die von Fragen zu Kreativität, Lebensmut und politischer Gegenwart geprägt war, machte Erika Freeman in einem weiteren Gedanken deutlich, dass man Begriffe nicht gedankenlos gleichsetzen dürfe. Autoritäre Systeme seien gefährlich, Faschismus brutal und menschenverachtend – doch der Nationalsozialismus sei etwas anderes gewesen: eine Ideologie, die auf Auslöschung beruhte. Hoffnung, so Freeman, gebe es dort, wo Streit noch möglich sei und Menschsein nicht kriminalisiert werde. Solange keine Nationalsozialisten an der Macht seien, bleibe Hoffnung – ein Satz, der an diesem Abend lange nachhallte.
Zum Abschluss dankte Prof. Dr. Kurt Tiroch beiden Gesprächspartnerinnen für einen Abend, der weit über ein klassisches Interview hinausgegangen sei. Man habe nicht nur Lebensgeschichte gehört, sondern Zeitgeschichte erlebt – und zugleich Orientierung für die Gegenwart erhalten.
Bevor er das offizielle Ende erklärte, erlaubte sich der Präsident noch eine persönliche Bemerkung. Er habe zu Beginn des Abends einen kleinen Fauxpas begangen, den er ursprünglich in seiner Einleitung ansprechen wollte – und dann schlicht vergessen habe. Bei der Begrüßung habe er Erika Freeman als „Frau Freeman“ angesprochen, worauf diese ihn umgehend korrigiert habe: „Frau Freeman war meine Mutter.“ Sie selbst sei Erika Freeman – Professor Freeman, Doktor Freeman, was immer, aber nicht Frau Freeman.
Mit einem Schuss Selbstironie fügte Prof. Dr. Tiroch hinzu, dass man auch an solchen Momenten lerne – und dass diese Klarheit, dieser Witz und diese geistige Präsenz wohl exemplarisch für den gesamten Abend gestanden hätten.
Beim anschließenden gemütlichen Ausklang wurden die Gäste vom Café Ministerium in gewohnt herausragender Weise verwöhnt: ein ebenso großzügiges wie köstliches Flying Dinner, begleitet von ausgezeichneten Weinen, rundete diesen besonderen Abend genussvoll ab.
Wenn Sie jemanden kennen, der Freude an unseren Veranstaltungen hätte: Neue Mitglieder sind uns herzlich willkommen.
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