Rückblick auf den Event: „Blackout, das unterschätzte Katastrophenszenario“, mit Herbert Saurugg am 15.2.2022 in der Diplomatischen Akademie.
Von Wolfgang Geißler

Wer hat noch nicht Europa aus dem All bei Nacht gesehen? Von hoch oben ergibt sich ein Ehrfurcht gebietender Anblick, denn der Kontinent erstrahlt funkelnd wie ein Christbaum aus unzähligen Lichtquellen. Nun stellen Sie sich vor, unser schönes Europa versinkt nachts in eine totale Finsternis. Einen Blackout.

Als an einem kalten Februartag in Italien das Licht ausgeht, wird im eng verzahnten europäischen Stromnetz eine verheerende Kettenreaktion ausgelöst. Auf dem ganzen Kontinent schalten sich Kraftwerke ab, Fahrstühle bleiben stehen, U-Bahnen stecken fest. Nichts geht mehr …

Das ist eine Kurzbeschreibung des Romans „Blackout, morgen ist es zu spät“ des Wieners Marc Elsberg, den ich einst zu Weihnachten 2012 gelesen habe.

Elsberg beschreibt „Blackout“ als Fiktion. Er erinnert daran, dass während seiner Arbeit an dem Manuskript seine Fantasie mehrmals von der Realität eingeholt worden ist. So sah sein erster Entwurf 2009 eine Manipulation der SCADA-Systeme (Supervisory Control and Data Acquisition) von Kraftwerken vor. Zu diesem Zeitpunkt hielten selbst Fachkreise diese Möglichkeit für kaum umsetzbar oder gänzlich abwegig, bis im Juni 2010 Stuxnet, ein Computerwurm, entdeckt wurde. Ähnlich war es mit der Gefahr, die von Notkühlsystemen der Kernkraftwerke ausgeht, bis zur Katastrophe in Fukushima. Ob sich die Realität beim Einholen seiner Fiktion mit diesen zwei Ereignissen zufriedengeben wird?

Bill Gates hat ebenfalls vor vielen Jahren einen aufsehenerregenden Vortrag über die wirklichen Gefahren der Zukunft referiert. Da sprach er insbesondere von einer Virus-Pandemie und einem Strom-Blackout. Kaum jemand hat dies damals ernst genommen. Die Pandemie ist seit zwei Jahren Realität. Wird uns in Zukunft nun auch ein internationaler Blackout heimsuchen?

Mit solchen nahezu apokalyptischen Fragen konfrontiert, referierte heute Herbert Saurugg, der internationale Blackout- und Krisenvorsorgeexperte über das spannende Thema: Blackout, das unterschätzte Katastrophenszenario.

Das europäische Stromversorgungssystem ist das größte und verlässlichste Stromversorgungssystem der Welt. Die europäischen Übertragungsnetzbetreiber leisten eine hervorragende Arbeit, um eine derart hohe Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Dennoch steigt seit Jahren die Fragilität des europäischen Verbundsystems. 2021 wurden wir bereits dreimal daran erinnert, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Dabei haben die europäischen Übertragungsnetzbetreiber bereits 2015 anlässlich des Blackouts in der Türkei eindringlich davor gewarnt:  „A large electric power system is the most complex existing man-made machine. Although the common expectation of the public in the economically advanced countries is that the electric supply should never be interrupted, there is, unfortunately, no collapse-free power system.” Diese Warnungen werden außerhalb der Expertenkreise kaum wahr- und somit auch nicht ernst genommen. Dabei würde ein großflächiger Stromausfall einen weitreichenden Lieferkettenkollaps auslösen.  Die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen könnte nicht mehr sichergestellt werden. Dies würde wohl die größte Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa auslösen, da weder die betroffenen Menschen, die involvierten Organisationen und Unternehmen noch die jeweiligen Regierungen auf ein solches Ereignis vorbereitet sind.

Am 8. Jänner 2021 kam es zur bisher zweitschwersten Großstörung im europäischen Stromversorgungssystem. Diese verlief im Vergleich zur ersten am 4. November 2006 aber noch glimpflich. Damals mussten binnen 19 Sekunden 10 Millionen Haushalte in Westeuropa vom Stromnetz getrennt werden, um einen europaweiten Kollaps zu verhindern. Diesmal waren „nur“ große Unternehmenskunden in Frankreich und Italien betroffen, die sich für einen solchen Fall vertraglich dazu bereit erklärt haben. Durch die sich seit 2006 laufend verbessernden Vorsorge und Kommunikationsmaßnahmen der 43 Übertragungsnetzbetreiber konnte die Störung nach rund einer Stunde behoben werden. Trotzdem hat kaum jemand mit dieser neuerlichen Großstörung gerechnet und niemand weiß, ob die vorgesehenen Sicherheitsmechanismen auch beim nächsten Zwischenfall greifen werden. Im schlimmsten Fall könnte es zu einem europaweiten Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall, einem sogenannten „Blackout“, kommen, wie dies das Österreichische Bundesheer bzw. auch die Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge binnen der nächsten fünf Jahre erwarte.

Zum einen kam es ab der Jahrtausendwende zur europäischen Strommarktliberalisierung. Damit sollten der Wettbewerb angekurbelt und die Preise gesenkt werden. Gleichzeitig wurde das Gesamtsystem in Einzelteile aufgesplittert und die Gesamtverantwortung geteilt. Die vormaligen Energieversorgungsunternehmen sind heute in getrennten Kraftwerks-, Netz- sowie Vertriebsgesellschaften organisiert. Der sogenannte „Energy-Only-Market“ muss definitionsgemäß keine Rücksicht auf physikalische und infrastrukturelle Voraussetzungen nehmen.

Gleichzeitig wird der bisherige fossile Großkraftwerkspark stark reduziert. Die potenziellen Rückfallebenen werden damit immer kleiner. So ist etwa in Deutschland geplant, bis Ende 2022 rund 20 GW an gesicherter Atom- und Kohlekraftwerksleistung stillzulegen. Ende März 2021 übte hierzu der deutsche Bundesrechnungshof harsche Kritik und bemängelte, dass weder die Planungsgrundlagen nachvollziehbar sind noch eine holistische Risikoanalyse vorliegt.

Zusätzlich wird der Strombedarf in den nächsten Jahren durch die steigende Anzahl von E-Autos, Wärmepumpen, Klimageräten und der voranschreitenden Digitalisierung deutlich ansteigen und durch einen bisher nicht gekannten Gleichzeitigkeitsfaktor die Infrastruktur massiv unter Druck setzen.

Ein Blackout-Szenario ist möglich und ist binnen der nächsten fünf Jahre zu erwarten. Die Netzbetreiber unternehmen alles in ihrer Macht Stehende, um den Eintritt eines plötzlichen, überregionalen und länger andauernden Strom-, Infrastruktur- und Versorgungsausfalls zu verhindern. Es gibt jedoch keine hundertprozentige Sicherheit. Die bisherige Versorgungssicherheit in allen Bereichen wiegt uns in eine falsche und gefährliche Scheinsicherheit. Die Auswirkungen eines Blackouts würden alle Lebensbereiche betreffen. Das gesamte gesellschaftliche Leben und so gut wie alle stromabhängigen Versorgungsleistungen würden binnen kürzester Zeit zum Erliegen kommen. Die Wiederherstellung der gewohnten Versorgung wird Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern. Die Ressourcen der Einsatzkräfte und aller anderen helfenden Hände sowie Organisationen sind für die Bewältigung eines so weitreichenden Ereignisses nicht ausgelegt. Sie sind zudem selbst Betroffene. Eine wie im Alltag gewohnte Hilfe darf nicht erwartet werden. Die Nachbarschaftshilfe und die Selbstorganisation in der Gemeinde sind die einzige tragfähige Bewältigungsstrategie. Es muss sich jeder Einzelne von uns und auch jede Organisation auf ein solches Szenario einstellen und vorbereiten. Dies beginnt bei der persönlichen Vorbereitung, um zumindest zwei Wochen ohne externe Versorgung (Trinkwasser, Lebensmittel, Medikamente) gut über die Runden zu kommen. In den Organisationen und Unternehmen geht es vor allem um Ablaufpläne, die auch ohne gewohnte Telekommunikationsversorgung funktionieren müssen („Offline“-Pläne). Eine vorbereitete Gesellschaft kann auch mit einem solchen Ereignis umgehen, wie Ereignisse in anderen Weltregionen eindrucksvoll zeigen.

Dass dabei unserem Präsidenten Prof. Dr. Kurt Tiroch bei solchen Ausführungen „gruselig“ wurde, wie er sagte, kann man nachvollziehen, aber auch das Bedauern, das in seiner Stimme mitschwang, dass es aufgrund der strikten Coronaregeln der Diplomatischen Akademie kein Catering nach dem Vortrag geben würde ebenfalls.

 
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