„Mord rufen und des Krieges Hund’ entfesseln.“

William Shakespeare (Julius Caesar)

Rückblick auf den Vortrag Dr. Arnold Kammel über

„Die sicherheitspolitischen Herausforderungen für Österreich angesichts der dramatischen Krise im Osten“ in der Diplomatischen Akademie

vom 17. März 2022.

Von Wolfgang Geißler

A Wake-Up Call

Am Donnerstag, dem 24. Februar 2022 wurde Dr. Arnold Kammel um acht Minuten nach vier Uhr früh telefonisch geweckt und erfuhr so von dem Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine. Dieses Datum repräsentiert zweifelsohne eine Zäsur in der europäischen Geschichte, aber auch in der Sicherheits- und Verteidigungsordnung Europas und Österreichs.

Das Risikobild für die österreichische Sicherheits- und Verteidigungspolitik sah sich schon 2020 mit 56 Risiken konfrontiert, aus denen sich vier Bedrohungen herauskristallisierten:

  1. Hybride Bedrohung. Es war offenkundig, dass damals, 2020, die Hauptbedrohung von Russland und der Türkei ausging.
  2. Die sich verschlechternde Sicherheitslage in der östlichen und südlichen Nachbarschaft.
  3. Angriffe auf die EU bzw. auf einzelne Mitgliedsstaaten im östlichen Mittelmeerraum. Bedrohung Zyperns und Griechenland durch die Türkei.
  4. Souveränitätsgefährdende Attacken auf Österreich. DIE Kernaufgabe des österreichischen Bundesheers.

Auf EU Ebene bewegte sich auch etwas. Die EU gab sich einen „Strategischen Kompass“, was als ein positiver „Ansatz“ gewertet wird. Der Vorschlag einer 5000 Mann Eingreifgruppe anstelle einer „Battle Group“, mit einer zehnfachen Mannstärke, eine damals etwas unglückliche Wortwahl und der Ansatz einer möglichen europäischen Armee. An all dem ist Österreich aktiv beteiligt.

Der Krieg in der Ukraine

Der Ukrainekrieg veranlasste auch Österreich zu reagieren. Nach einer eher euphorischen Forderung des Aufstockens unseres Heeresbudgets auf 1 % des BIP, schloss sich das Fenster wieder langsam für die Landesverteidigung und ein gewisser Realismus kehrte ein.

Bei der informellen Tagung der Staats- und Regierungschefs in Versailles vom 10. und 11. März 2022 befasste man sich mit drei zentralen Dimensionen:

  1. Stärkung unserer Verteidigungsfähigkeiten,
  2. Verringerung unserer Energieabhängigkeiten und
  3. Aufbau einer robusteren wirtschaftlichen Basis.

Unter „Stärkung unserer Verteidigungsfähigkeiten“ befasste man sich unter anderem besonders mit dem Artikel 42 Absatz 7EUV, in dem die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten ihren starken Ausdruck findet. Ein kräftiges Bekenntnis zur Beistandsverpflichtung.

Artikel 42 Absatz 7EUV

Die Beistandsklausel wurde 2009 in Artikel 42 Absatz 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) festgeschrieben. Im Falle eines „bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats“ sind die anderen EU-Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen, den Mitgliedsstaat  mit allen in ihrer Macht stehenden Möglichkeiten zu helfen und zu unterstützen. Dabei bleiben die Verpflichtungen in diesem Bereich in Einklang mit den im Rahmen der Nordatlantikvertrags-Organisation (NATO) eingegangenen Verpflichtungen.

Für die Unterstützung wird kein formelles Verfahren vorgegeben. Die Klausel legt zudem nicht fest, dass eine militärische Unterstützung erfolgen sollte. EU-Mitgliedsstaaten wie Österreich, Finnland, Irland und Schweden können somit unter Wahrung ihrer Neutralität kooperieren.

Am 28. Februar 2022 gab es im Nationalen Sicherheitsrat eine seriöse Diskussion, die am Ende in die Neutralitätsdebatte überschwappte. Wenngleich es überraschte, wie unösterreichisch schnell wir in diesem Krieg eine eindeutige Seite bezogen, so betäubend und hinderlich war die plötzlich losgetretene Neutralitätsdebatte auf einen rationalen Zugang. Was wir beobachten durften, war die instinktive Reaktion, sich hinter der „Schutzmantelmadonna Neutralität“ zu verstecken.

26 EU-Staaten warten auf die konkrete Antwort Österreichs auf die Frage: „Wie sieht Österreichs europäischer Solidaritätsbeitrag aus?“ An dieser Stelle muss man schon Klartext reden: in einem Bündnisfall kann Österreich es sich NICHT leisten, NICHT mitzumachen! Mehr Ehrlichkeit muss daher von unseren Politikern verlangt werden.

Dabei wird Österreich durchaus positiv gesehen. Wie immer an der Einwohnerzahl gemessen, belegt unser Land mit 1000 Soldaten im permanenten  Auslandseinsatz den ersten Platz in der EU.  Es stellt zwei Kommandanten innerhalb der EU. Im Juni 2022 wechselt der gegenwärtige Generalstabschef Robert Brieger als Leiter des Militärausschusses der EU nach Brüssel. Das wäre sicher nicht der Fall, sehe man Österreich nicht als solidarisch.

Dennoch gab es einen, nein, DEN großen Sündenfall, den man uns bis heute nicht gänzlich vergeben hat: der überhastete Golanabzug. Das hat uns sehr geschadet.

Schließlich gibt es vieles in der Landesverteidigung parteiunabhängig und mit übergreifendem Grundkonsens zum Aufarbeiten, um eine mittelfristige Aufrüstung nach Fähigkeiten zu erreichen. Die „Schutzmantelmadonna Neutralität“ muss ein Ende finden, sowie auch das typische, eher österreichische, „Durchwursteln“, in der frommen Hoffnung, dass das uns unsere europäischen Partner weiter gestatten werden, woran wir teilnehmen wollen oder nicht.

„Der Zug ist aufgesetzt“, so beendete Dr. Kammel seinen Vortrag, „und es gilt an uns, die grundsätzliche Entscheidung zu treffen, ob wir mit diesem Zug mitfahren, oder bleiben wir am Bahnhof weiter stehen, mit all den Konsequenzen, die das nach sich zieht.“

Für unseren Präsidenten Prof. Dr. Kurt Tiroch war der von unserem Vizepräsidenten Botschafter Dr. Alexander Christiani vermittelten und koordinierten Event ein außergewöhnlicher Höhepunkt der bisherigen Veranstaltungen der letzten 12 Jahre. Dem kann ich mich nur anschließen. Auch ich habe selten einen so spannenden, aber auch ehrlichen Vortrag gehört. Botschafter Dr. Christiani gilt eine besondere Anerkennung für die elegante Einleitung sowie die wie immer gekonnte Moderation der vielen kompetenten Fragen der Mitglieder, auf die schnelle und kompetente Antworten Dr. Kammels folgten. Nach all dem gab es endlich wieder die exzellenten Weine der Diplomatischen Akademie sowie eine reichhaltige Auswahl von Canapés und Desserts.

Ich schäme mich nicht, diesmal all denjenigen mitzuteilen, die sich entschieden haben, nicht an dieser Veranstaltung teilzunehmen, Sie haben etwas Großartiges verpasst, das so schnell nicht wiederkommen wird.

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